Am 20.04.2017 starten wir um 4 Uhr früh von Kempten nach Chamonix. Christian fährt seinen VW-Bus, damit ist zumindest für Annika und mich die Fahrt stressfrei.
Wetterbericht und LLB sagen perfekte Bedingungen voraus. Deshalb besprechen wir schon unterwegs, was für Möglichkeiten am Berg bestehen
(Überschreitung zur Cosmique-Hütte/Abfahrt vom Gipfel über die Nord-Flanke). Es wird sich zeigen, dass die Realitäten am Berg unsere Träume schnell zurechtrücken werden.
Sicher ist, dass wir über die Grands Mulets und den Bosses-Grat aufsteigen, da wir schon die Hütte reserviert haben.
Von Chamonix geht’s zur Mittelstation der Aiguille du Midi-Bahn auf 2.300 m. Von dort steht ein unangenehmer Abstieg über eine sandige, steile Moräne an.
Ein altes, fast durchgescheuertes Fixseil erleichtert viel, dreckig werden wir trotzdem.
Endlich können wir die Ski anziehen und die lange Querung bis zum Bossons Gletscher angehen.
Es ist wolkenlos, die Temperaturen angenehm, eine perfekte, leichte Skitour. Drohende Eisschlag- und Lawinengefahr können wir durch entsprechende Routenwahl leicht vermeiden.
Bald ändert sich die Szenerie. Der Gletscher ist spaltenreich und aufgrund der geringen Schneeauflage treffen wir auf eine Vielzahl offener bis gering gefüllter Spalten von riesigen Ausmaßen.
Für uns ist Anseilen angesagt. Trotzdem sind einige Einzelgänger unterwegs. Kein Wunder, dass der Mt. Blanc einer der unfallträchtigsten Berge der Alpen ist.
Sie ist einfach ausgestattet, ohne Waschgelegenheiten, aber hat ein atemberaubendes Plumpsklo, das durch das Loch einen 30-m-Tiefblick auf den darunterliegenden Gletscher gewährt.
Durch den starken Aufwind ist der Ort immer gut belüftet.
Die megafreundlichen Hüttenwirte setzen das Frühstück auf 01.30 Uhr an, nicken aber lachend als wir meinen, dass es wohl um 02.00 Uhr auch reichen sollte.
Das Abendessen ist wie die Hütte einfach aber durch endlose Nachschläge mehr als ausreichend.
Mein Rotwein kommt in gefühlt fingerhutgroßen Gläsern daher, dafür ist er sauteuer (na ja, Bier ist noch teurer).
Unter den Gipfelaspiranten auf der Hütte wird eifrig über den besten Weg hinauf diskutiert.
Wenige bevorzugen den Weg über den Dome du Gouter, da dadurch die Eisschlaggefahr am Petit Plateau vermieden wird.
Das muss aber durch einige Seillängen auf Blankeis erkauft werden, da der Wind die geringe Schneeauflage weggefegt hat.
Der zweite Weg führt über eine Querung westlich von der Hütte an einer Felswand entlang hinauf.
Die Orientierung ist durch den Fels recht einfach, dafür droht Stein- und Eisschlag, zudem ist der Weg weiter.
Deshalb entscheiden wir uns für den dritten Weg, den auch der Hüttenwirt favorisiert. Ein paar Österreicher haben ihn heute früh schon genutzt.
Allerdings haben sie sich in der Dunkelheit im Spaltengewirr verstiegen und dabei ziemlich viel Zeit verloren. Er führt nahe der Hütte zwischen zwei Eisbrüchen durch.
Es gilt also in der Dunkelheit möglichst den „Durchschlupf“ dazwischen zu finden. Wir prägen uns den Weg so gut wie möglich ein und sind zuversichtlich den besten Weg zu finden.
Am nächsten Morgen ist ab 01.00 Uhr an Schlaf nicht mehr zu denken. Die ersten Ungeduldigen packen schon ihre Rucksäcke.
Wir warten den größten Rummel im Bett ab und nach einem, für französische Verhältnisse, üppigen Frühstück brechen wir ziemlich als Letzte um 03.15 Uhr auf.
Tatsächlich ist der Weg bei Dunkelheit nicht leicht zu finden. Die Spuren des Vortages helfen,
aber leider gibt es jede Menge Varianten und aufgrund der Dunkelheit ist die Entscheidung für den richtigen Weg schwierig.
Direkt unter den durch den Wind prügelhart gewordenen Querungen warten riesige Spalten in die locker Einfamilienhäuser passen würden.
Ein Einzelgänger vor uns verliert an einer Engstelle den Halt und kann sich gerade noch halten, bevor er den Abgang in eine der Mega-Spalten macht.
Mühsam zieht er seine Ski aus und krabbelt wieder zurück in sicheres Gebiet. Wir sind gezwungen ihn zu umgehen, da er den engen Durchgang blockiert und wir keine Zeit verlieren wollen.
Kurz vor dem Ausstieg aus dem Spaltengewirr müssen wir noch kurz die Ski ausziehen und mit den Füßen Stufen schlagen.
Dann gelangen wir auf einen mäßig steilen, breiten Rücken, der uns recht gemütlich zum Petit Plateau führt.
In der anbrechenden Dämmerung sehen wir deutlich was „objektive alpine Gefahren“ sind. Ein Großteil der Route über das Plateau ist übersäht von Eisbrocken von teilweise beeindruckender Größe.
Rechts von uns türmen sich riesige Seracs auf, die schier unerschöpflichen Nachschub an Eisschlag parat haben. Die einzige Strategie kann hier nur heißen:
Möglichst weit links halten und so schnell wie möglich durch.
Am Grand Plateau hat das Zittern ein Ende. Sehr gemütlich, fast flach geht es in Richtung Vallot-Biwak.
Leider kommt jetzt ein heftiger Ostwind auf, der aus den bisher angenehmen Temperaturen eine eisige Angelegenheit werden lässt.
Bereits ca. 60 Hm unterhalb des Biwaks machen Annika und ich Ski Depot wie die meisten anderen auch.
Christian geht den hartgewehten und teilweise mit Blankeis durchzogenen Hang mit Ski (eher keine gute Idee wie sich noch zeigen wird).
Im Biwak haben sich schon die Frühaufsteher der Hütte versammelt.
Der Wind draußen hat sich zum Sturm entwickelt, es ist eisig kalt.
Einer zittert wie Espenlaub, ein anderer zerschneidet seine Rettungsdecke um sie sich um die Füße zu wickeln.
Ein Bergführer versucht seine Gruppe zu überzeugen, dass bei diesen Verhältnissen ein Gipfelanstieg sinnlos sei.
Auch Annika entscheidet sich auf der Vallot zu bleiben. Christian und ich wollen es versuchen.
Wir wollen uns nicht schon wieder vom Sturm einen Gipfel vermiesen lassen (wer nicht weiß was ich meine, kann sich das Video der Dremelspitze von Udo anschauen).
Vorteil der unwirtlichen Verhältnisse ist, dass wir den sonst überlaufenen Bosses-Grat praktisch allein für uns haben. Nur 2 weitere Seilschaften sind vor uns.
Eine folgt uns, kehrt aber bald wieder um. Gefühlt im Schneckentempo geht´s aufwärts.
Immer wieder müssen wir stehen bleiben um Böen abzuwarten, die uns auf dem schmalen Grat aus dem Gleichgewicht bringen.
Endlich kommen wir auf einem kurzen Stück ins Lee des Grates. Sofort hört der Wind auf, die Sonne wärmt gewaltig. Füße und Hände tauen wieder auf.
Bald darauf wieder im Sturm, aber wir sind jetzt zuversichtlich, dass wir es packen. Keinerlei Symptome von Höhenkrankheit, nicht mal Kopfweh.
Obwohl wir megalangsam sind, überholen wir die anderen Seilschaften. Und endlich, nach einem letzten Aufschwung erreichen wir das Gipfelplateau, das wir kurzzeitig allein für uns haben.
Das Gelände ist so flach, dass es uns schwer fällt den höchsten Punkt auszumachen. Eine kleine Schneewehe erklären wir zum höchsten Punkt und machen ein paar schnelle Fotos.
Der Sturm lässt keine große Pause zu. Der Abstieg geht schnell und unproblematisch, auf der Vallot treffen wir wieder Annika,
die in der Sonne sitzend im Windschatten der Hütte gleich ein paar Freundschaften geschlossen hat.
Uns sitzen sehr merklich die rd. 1.800 Hm plus Kälte, Sturm und dünne Luft in den Knochen und wollen schnell runter.
Annika und ich steigen zum Skidepot ab, Christian schnappt sich seine Ski und fährt kurz nach uns ab.
Während wir unten unsere Ski anziehen, entdecken wir Christian keine 100 m von uns im Schnee kauern. Ohne Ski und Stöcke.
Es stellt sich heraus, dass er bei der Abfahrt zu weit seitlich ins Blankeis geraten ist und einen grandiosen Abflug gemacht hat.
Ski und Stöcke liegen weit verstreut, er hat - kaum zu glauben bei der Sturzhöhe auf Eis - nur eine starke Prellung am Unterarm
(alle Farben von Grün bis Violett) und ein paar kleine Abschürfungen an den Händen.
Die folgende Abfahrt ist leicht und unspektakulär. Leider ist der wenige Schnee windgepresst und nicht besonders gut zu fahren.
An der Grands Mulets geht’s gleich vorbei weiter runter zur langen Querung bis zur Mittel-Station der Seilbahn.
Wir sind alle ziemlich platt und der eigentliche Plan noch zur Cosmiques-Hütte aufzusteigen, um das Valley Blanche zu fahren, ist kein Thema mehr.
Stattdessen bummeln wir noch kurz durch Chamonix, gehen was essen, stoßen mit richtigen Weingläsern auf den Gipfel an und legen uns sehr bald im Bus schlafen.
Am nächsten Morgen, nach einem richtigen französischen Frühstück mit Cafe au lait und Croissant, machen wir uns mehr oder weniger hungrig auf den Heimweg und besuchen noch Fribourg,
von dem Annika weiß, dass sich ein Besuch lohnt, wobei wir ihr nur zustimmen können.
Teilnehmer:
Hans Taiber
Christian Frey
Annika Geisenberger
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